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Erlenhardt Rechtsanwälte setzen für die Architektenkammer NRW freie Architektenwahl in Marl durch – Stadt Marl gibt unzulässigen Architektenpool für das Grimme Quartier auf

27.02.2023

Die Stadt Marl hatte bei der Vermarktung des Neubaugebiets "Grimme Quartier" versucht, den Bewerbern die Wahl eines von 13 Architekten in einem Architektenpool vorzuschreiben. Das hielt die Architektenkammer NRW aufgrund der Neutralitätspflicht der Stadt Marl für rechtswidrig.


1. Klage zur Klärung der Zulässigkeit eines Architektenpools

Nachdem eine außergerichtliche Abmahnung leider erfolglos geblieben war, haben wir im Auftrag der Architektenkammer NRW Klage am Landgericht Bochum erhoben, um diese auch nach unserer Überzeugung unlautere Praxis zu unterbinden. Die Klage war darauf gestützt, dass die Stadt Marl mit der Empfehlung bestimmter Architekturbüros erstens ihre Pflicht zu neutraler und objektiver Amtsführung verletzte und die Empfehlungen zweitens irreführend waren:

a) Unlautere Empfehlung bestimmter Architekturbüros unter Ausnutzung des in die öffentliche Hand gesetzten Vertrauens

Mit der Empfehlung ganz bestimmter Architekturbüros wurde die Stadt Marl dem besonderen Vertrauen, das die Öffentlichkeit in die öffentliche Hand setzt, nicht gerecht.

In diesem Zusammenhang ist zunächst relevant, dass auch geschäftliche Handlungen der öffentlichen Hand unlauter sein können; dies beurteilt sich nach den für alle Unternehmen geltenden Verbotstatbeständen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Es gibt kein Sonderrecht der öffentlichen Hand. In den Empfehlungen lag nach unserer Auffassung eine geschäftliche Handlung zugunsten der 13 empfohlenen Architekturbüros, denen die angesprochenen Verkehrskreise besonderes Vertrauen entgegenbringen dürften. Dieses Vertrauen ist auch schutzwürdig, weil auch die öffentliche Verwaltung zu neutraler und objektiver Amtsführung verpflichtet ist. Ein Missbrauch dieses Vertrauens, um eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern, ist daher in der Regel unzulässig. Dies ergibt sich, wenn die öffentliche Hand nicht als Unternehmer, sondern schlichthoheitlich handelt, aus § 3 Abs. 1 UWG (BGH, Urt. v. 12.11.1998, I ZR 105/96 – Verwaltungsstellenleiter; BGH, Urt. v. 12.07.2012, I ZR 54/11 – Solarinitiative), und wenn sie als Unternehmer handelt, aus § 3 Abs. 2 UWG, wenn nicht schon – wie auch hier – irreführendes oder aggressives Verhalten vorliegt. Im Ergebnis hat die Stadt Marl, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, gegenüber Bauinteressierten Empfehlungen ausgesprochen, welches Architekturbüro sie zur Verwirklichung des Bauvorhabens beauftragen sollen, und diese Empfehlungen waren nach unserer Überzeugung gerade wegen der Pflicht der öffentlichen Hand zur Objektivität und Neutralität besonders gewichtig. Mit diesen Empfehlungen missbrauchte die Stadt Marl das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung.

Empfehlungen der öffentlichen Hand sind allerdings keineswegs stets unlauter, weil es in Einzelfällen möglich ist, dass das Interesse des Empfehlenden oder des Publikums an derartigen Empfehlungen schutzwürdig ist. Der öffentlichen Hand ist es nicht grundsätzlich verwehrt, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit privaten Unternehmen zusammenzuarbeiten und die Verbraucher darüber in angemessener Weise zu unterrichten. Die damit verbundene Förderung des Wettbewerbs dieser Unternehmen ist als notwendige Folge dieser Unterrichtung hinzunehmen, solange sie nicht ein angemessenes Maß überschreitet (BGH, Urt. v. 12.07.2012, I ZR 54/11 – Solarinitiative).

Letzteres war hier aber der Fall. Eine Empfehlung muss nicht nur im Aufgabenbereich der jeweiligen Verwaltung liegen (BGH, Urt. v. 04.04.1984, I ZR 9/82 – Werbung in Schulen), sondern darüber hinaus auch neutral, objektiv und sachgerecht erfolgen (BGH, Urt. v. 12.07.2012, I ZR 54/11 – Solarinitiative). Das schließt zwar eine wertende Beurteilung nicht aus; unlauter ist es aber, wenn das der öffentlichen Verwaltung entgegengebrachte Vertrauen in die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung missbraucht wird. Öffentlich-rechtliche Körperschaften haben gerade die Pflicht zu neutraler und objektiver Amtsführung. Körperschaften sind daher grundsätzlich gehalten, Empfehlungen objektiv und sachgerecht zu halten, woran es hier fehlte. Unlauter ist eine Empfehlung, wenn sie nicht das Ergebnis einer sachlichen und unparteiischen Wertung ist, sondern von geschäftlichen Interessen bestimmt wird und die Gleichbehandlung von Mitbewerbern beeinträchtigt (BGH, Urt. v. 24.02.1994, I ZR 59/92 – Auskunft über Notdienste; BGH, Urt. v. 18.10.2001, I ZR 193/99 – Elternbriefe). Das Gebot der Objektivität in Gestalt einer sachlichen Information ist beispielsweise verletzt, wenn eine Sozialhilfebehörde einem Sozialhilfeempfänger gegenüber den Eindruck erweckt, die einzige Möglichkeit zu einer für ihn kostenfreien Lesebrille zu gelangen, sei der Erwerb einer Fertigbrille in einem Kaufhaus (OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.09.1997, 6 W 133/97, NJWE-WettbR 1999, 78). Das Gebot der Neutralität ist verletzt, wenn eine Krankenkasse oder eine Gemeinde ohne sachlichen Grund gezielt den Wettbewerb eines Dritten fördert (BGH, Urt. v. 12.11.1998, I ZR 105/96, GRUR 1999, 267 – Verwaltungsstellenleiter; BGH, Urt. v. 12.07.2012, I ZR 54/11 – Solarinitiative). Beides war hier unseres Erachtens der Fall. Erstens wurde durch die expliziten Empfehlungen der Stadt Marl der Eindruck vermittelt, dass die Beauftragung eines der 13 genannten Architekturbüros die einzige Möglichkeit sei, eines der Grundstücke in dem vermarkteten Neubaugebiet zu erwerben, wodurch die Stadt Marl zweitens ohne erkennbaren sachlichen Grund ganz gezielt den Wettbewerb dieser 13 Architekturbüros gegenüber den (übrigen) Mitgliedern der Klägerin gefördert hat.

Verletzt die öffentliche Hand – wie hier geschehen – ihre Pflicht zu neutraler und objektiver Amtsführung, so handelt sie unlauter im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG.

b) Irreführung

Unlauter handelt ferner, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte; eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie zur Täuschung geeignete Angaben über die Notwendigkeit einer Leistung enthält. Die Darstellung der 13 in dem Architektenpool genannten Architekturbüros stellte zunächst eine geschäftliche Handlung zugunsten eines Dritten dar, nämlich zugunsten der genannten Architekturbüros. Dadurch entstand der Eindruck, dass

  • nur diese Architekturbüros hinreichend qualifiziert oder aus anderen Gründen exklusiv geeignet seien, die Bauprojekte in dem Neubaugebiet zu betreuen,
  • es den Bauinteressierten also nicht freistehe, auch irgendein anderes Architekturbüro zu wählen, das nicht im Architektenpool genannt ist.

Letztlich entstand dadurch auch der Eindruck, dass

  • der Bauentwurf, der von dem zu beauftragenden Architekten vorzulegen ist, nicht nur allein den Vorgaben des Bauplanung- und Bauordnungsrechts zu genügen hat, sondern darüber hinaus von einem ganz bestimmten Architekten vorzulegen ist, nämlich von einem der 13 genannten Büros in dem Architektenpool.

All das traf nicht zu; die Bewerbung der 13 im Architektenpool genannten Architekturbüros war daher zur Täuschung über die Notwendigkeit der Beauftragung eines dieser Architekturbüros geeignet. Diese Täuschung war wiederum geeignet, die Bauinteressierten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls möglicherweise nicht getroffen hätten, nämlich die Beauftragung eines der 13 von der Stadt Marl exklusiv beworbenen Architekturbüros. Die demnach darin liegende irreführende geschäftliche Handlung war unlauter gemäß § 5 Abs. 2 Fall 2 Nr. 5 UWG.


2. Ausgang des Rechtsstreits: Unterlassungserklärung und Aufgabe des unzulässigen Architektenpools

In der mündlichen Verhandlung vor der 15. Kammer für Handelssachen stellte der Vorsitzende klar, dass unsere rechtliche Einschätzung exakt zutrifft. Letztlich gab die Stadt Marl dann eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, die hier abrufbar ist, und verpflichtete sich im Rahmen eines Vergleichs, gegenüber Grundstücksinteressenten und der Öffentlichkeit Folgendes zu erklären:

Die Stadt stellt ausdrücklich klar, dass in Bezug auf das Neubaugebiet Grimme Quartier Interessenten in der Wahl ihres Architekten völlig frei sind und keinerlei Bindung unterliegen. Dies gilt insbesondere auch für solche Interessenten, die bereits aus dem nicht mehr existenten „Architektenpool“ einen Architekten beauftragt haben. Ein etwaiger Wechsel des Architekten führt im Verfahren weder zu Vorteilen noch zu Nachteilen.

Einen Bericht der Marler Zeitung über die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2022 finden Sie hier. Die Pressemitteilung der Architektenkammer NRW ist hier abrufbar.


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Rechtsanwalt Andreas Erlenhardt, LL.M.

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